Zwischen Konjunkturprogramm und Inflation
Durch den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine spielt die weltweite Wirtschaft verrückt. Auch hierzulande sind die Auswirkungen dieser Auseinandersetzung zu spüren, am deutlichsten durch die gestiegenen Preise, insbesondere im Bereich der Nahrungsmittel- und Energieversorgung.
Das Statistische Bundesamt spricht derzeit von einer Inflationsrate im Jahresmittel von 8,4 % und prognostiziert für das Jahr 2023 eine Verteuerung um 8,8 %. Ganz Deutschland steht vor harten Tarifauseinandersetzungen über alle Branchen hinweg. Vor Jahrzehnten gab es eine ähnliche Situation schon einmal. Auf hohe Inflationsraten folgten ähnlich hohe Lohnsteigerungen, welche wieder zu noch höheren Inflationsraten führten. Dieser Effekt wird Lohn-Preis-Spirale genannt. Um diesen Effekt einzudämmen, hat die Bundesregierung den Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften die Möglichkeit geschaffen, eine für beide Seiten steuerfreie Einmalzahlung in Höhe von 3.000,00 Euro zu leisten. Unter diesen Bedingungen fand die erste Tarifverhandlung am 18. Oktober 2022 in Bonn statt. Damit sich die Beschäftigten im Schornsteinfegerhandwerk die immensen Kostensteigerungen leisten können, hat der ZDS ein umfassendes Forderungspaket an seinen Sozialpartner übermittelt. Immerhin haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, ihre Preise an die aktuelle Marktsituation anzupassen. Doch können sich die Schornsteinfegerbetriebe eine Personalkostensteigerung eigentlich leisten und muss dies eine Einmalzahlung beinhalten?
Die Einnahmen haben sich in den wenigen Monaten, seit die Kostenexplosion auch die Betriebe belastet, kaum verändert. Nichtsdestotrotz besteht die betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, dies bald zu tun – allein um der eigenen wie auch der sozialen Verantwortung für die eigenen Beschäftigten gerecht zu werden. Gleichzeitig steht das Schornsteinfegerhandwerk vor einem riesigen Konjunkturprogramm. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) verpflichtete alle Eigentümerinnen und Eigentümer von Erdgasheizungen zu einer Heizungsprüfung und -optimierung durch fachkundiges Personal. Ein großer Teil davon wird davon auf uns Schornsteinfeger zurückfallen. Nach Angaben unseres Sozialpartners existieren 12 Millionen Erdgasheizungen in Deutschland. Bei einem kalkulierten Marktpreis von 60,00 Euro netto pro Gasheizung entspricht dies einer Gesamtumsatzsteigerung von 720.000.000,00 Euro oder anders ausgedrückt von 95.000,00 Euro Mehreinnahmen pro Betrieb in grob zwei Jahren. Die Mitglieder des ZDS werden einen klaren Anteil an diesem enormen Konjunkturprogramm mit stemmen müssen. Gerade deshalb muss auch ein Teil dieses Mehrumsatzes in den Geldbeuteln der Beschäftigten ankommen. Die entgegenkommende Forderung nach einem Inflationsausgleich von 8,4 % kostet die Betriebsinhaber im Schnitt 4.150,00 Euro pro Jahr inklusive aller Arbeitgeberkosten. Selbst wenn die Unternehmer also nur einen Teil der Heizungsprüfungen in der Praxis anbieten und umsetzen, bestehen aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht keine Bedenken.
Nun steht noch die Einmalzahlung im Raum. Auf den ersten Blick erscheint eine steuerfreie Einmalzahlung attraktiv für die Beschäftigten. Allerdings ist dies nur auf den ersten Blick so. Menschen haben Schwierigkeiten, exponentiell zu denken. Vielmehr denken wir oft nur linear. Was bedeutet dies? Eine Einmalzahlung wird im Gegensatz zu realen Lohnsteigerungen nicht durch den Zinseszinseffekt verstärkt. Ein Beispiel: Eine Einmalzahlung von 1.500,00 Euro ist in 20 Jahren immer noch 1.500,00 Euro wert. Eine Lohnerhöhung um 1.500,00 Euro ist mit einer jährlichen Tarifsteigerung von beispielsweise 2,5 % in 20 Jahren bereits 2.457,00 Euro wert – ein Verdienst von fast 1.000,00 Euro, den wir nicht jetzt, sondern jedes Jahr Stück für Stück verlieren, nur weil wir heute eine Einmalzahlung annehmen. Außerdem ist die Lohn-Preis-Spirale kein Argument für eine Schlechterstellung der Schornsteinfegerinnen und Schornsteinfeger. Rein volkswirtschaftlich ist das Schornsteinfegerhandwerk dafür schlichtweg viel zu klein.
Das Angebot unseres Sozialpartners lag bei unserem ersten Tarifgespräch in Bonn bei 3,0 % Lohnsteigerung und einer zusätzlichen Einmalzahlung von 1.500,00 Euro. Wir haben dieses Angebot klar und deutlich abgelehnt. Wir wissen aus Erfahrung, dass das erste Angebot der Arbeitgeber meist nicht das Ende der Fahnenstange ist. Wir haben noch bis zum 31.12. Zeit, einen Tarifvertrag zu verhandeln. Ab 01.01.2023 endet die Friedenspflicht, dann können wir unseren Forderungen erst recht Nachdruck verleihen.
Mit kollegialen Grüßen
David Villmann